Ein Brief von Hugo von Hofmannsthal, ein beeindruckender Text, der 1902 mit dem Hintergrund der Sprachskepsis verfasst wurde.

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Der Fliegende Robert
 
Eskapismus, ruft ihr mir zu,

vorwurfsvoll.

Was denn sonst, antworte ich,

bei diesem Sauwetter! -,

spanne den Regenschirm auf

und erhebe mich in die Lüfte.

Von euch aus gesehen,

werde ich immer kleiner und kleiner,

bis ich verschwunden bin.

Ich hinterlasse nichts weiter

als eine Legende,

mit der ihr Neidhammel,

wenn es draußen stürmt,

euern Kindern in den Ohren liegt,

damit sie euch nicht davonfliegen.

 

Hans Magnus Enzensberger

Quelle: "Hans Magnus Enzensberger Gedichte 1950-2015", S.130

Drei französische Gedichte mit deutscher Übersetzung
Charles Baudelaire - La musique
La musique

La musique souvent me prend comme une mer !
Vers ma pâle étoile,
Sous un plafond de brume ou dans un vaste éther,
Je mets à la voile ;
 
La poitrine en avant et les poumons gonflés
Comme de la toile
J'escalade le dos des flots amoncelés
Que la nuit me voile ;
 
Je sens vibrer en moi toutes les passions
D'un vaisseau qui souffre;
Le bon vent, la tempête et ses convulsions
 
Sur l'immense gouffre
Me bercent. D'autres fois, calme plat, grand miroir
De mon désespoir!


Die Musik

Die töne erfassen mich oft wie ein meer ·
  Zu meinem bleichen sterne
Ob im äther weit ob im nebel schwer
  Steur ich ins ferne.
 
Die brust hervorgekehrt und die lunge
  Wie ein segel gefüllt
Ersteig ich die wellenberge im sprunge
  Die mir das dunkel verhüllt.
 
Alle regungen kommen mich an
  Eines schiffs in gefahren:
Der gute wind wie der tolle orkan
    Wiegt mich am unmessbaren
Abgrund – oft auch spiegel nur platt und breit
  Meiner untröstlichkeit.


Quelle: "Die Blumen des Bösen", S.144/ Übersetzung von Stefan George
Arthur Rimbaud - Le dormeur du val
Le dormeur du val

C'est un trou de verdure où chante une rivière
Accrochant follement aux herbes des haillons
D'argent; où le soleil, de la montagne fière,
Luit : c'est un petit val qui mousse de rayons.

Un soldat jeune, bouche ouverte, tête nue,
Et la nuque baignant dans le frais cresson bleu,
Dort ; il est étendu dans l'herbe, sous la nue,
Pâle dans son lit vert où la lumière pleut.

Les pieds dans les glaïeuls, il dort. Souriant comme
Sourirait un enfant malade, il fait un somme :
Nature, berce-le-chaudement : il a froid.

Les parfums ne font pas frissonner sa narine ;
Il dort dans le soleil, la main sur sa poitrine,
Tranquille. Il a deux trous rouges au côté droit.


Der Schläfer im Tal

Ein grüner Winkel den ein Bach befeuchtet
Der toll das Gras mit Silberflecken säumt
Wohin vom stolzen Berg die Sonne leuchtet -
Ein kleiner Wasserfall von Strahlen schäumt.

Ein Kriegsmann jung barhaupt mit offnem Munde
Den Nacken badend in dem blauen Kraut
Schläft unter freiem Himmel, bleich, am Grunde
Gestreckt, im grünen Bett vom Licht betaut.

Ein Strauch deckt seine Füsse. Wie ein Kind
Lächelnd das krank ist hält er seinen Schlummer.
Natur umhüll ihn warm! es friert ihn noch.

Ihm zuckt die Nase nicht vom duftigen Wind.
Er schläft im Sonnenschein, die Hand auf stummer
Brust - auf der rechten ist ein rotes Loch.


Quelle: "Arthut Rimbaud Sämtliche Dichtungen", S.72/ Übersetzung von Stefan George
Stéphane Mallarmé
Soupir

Mon âme vers ton front où rêve, ô calme soeur,
Un automne jonché de taches de rousseur,
Et vers le ciel errant de ton oeil angélique
Monte, comme dans un jardin mélancolique,
Fidèle, un blanc jet d’eau soupire vers l’Azur !
- Vers l’Azur attendri d’Octobre pâle et pur
Qui mire aux grands bassins sa langueur infinie
Et laisse, sur l’eau morte où la fauve agonie
Des feuilles erre au vent et creuse un froid sillon,
Se traîner le soleil jaune d’un long rayon.


Seufzer

Zu deiner Stirn hinan, wo, stille Schwester, träumt
ein Herbst, von Sommersprossen rot gesäumt,
und himmelwärts, wo deines Auges Engel schweift,
steigt auf mein Geist, als ob im Garten, wo die Schwermut reift,
ergeben seufzt des Wassers weißer Strahl zum blauen Schoß!
– Ins Himmelsblau, gelindert von Oktober, fahl und makellos,
das in den großen Teichen sein unendliches Verschmachten
spiegelt, und auf toter Feuchte, wo falber Blätter Frachten
wirrt ein Grabeshauch und Frost zieht erste Schneisen,
eine gelbe Sonne kreisen läßt und immer kreisen.


Quelle: www.luxautumnalis.de/stephane-mallarme-soupir/